Beliebte Posts

Montag, 8. Mai 2017

Wieviel Zuneigung ist erlaubt?

Vor knapp einem Jahr wurden wir evaluiert. Evaluation, das bedeutet eine Prüfung der Kita und der Arbeit der Erzieher, besonders in Bezug auf das Berliner Bildungsprogramm durch einen neutralen Beobachter.
Wir hatten eine Beobachterin, die mir bis heute zuweilen schlaflose Nächte und Albträume bereitet und meine ganze Arbeit von 25 Jahren in Frage stellt.
SIE war einen Tag da, beobachtete sechs Stunden lang unsere fünf Gruppen und meinte danach alles zu wissen. Ich schnitt unter ihrem kritischen Auge gar nicht so schlecht ab, aber es gab da einen Punkt, der mich erschüttert. Bis heute.

Wir gehen in der Kita zu liebevoll mit den Kindern um. Im Ernst, das wird uns vorgeworfen. Wir haben allgemein ein sehr gutes und enges Verhältnis zu Kindern UND Eltern. Die Kinder sollen neben der pädagogischen Arbeit auch einfach Spaß und Freude an ihrem Kita-Aufenthalt haben, sich wohl und sicher in ihrer Umgebung fühlen. Ich weiß nicht, ob Spaß und Freude im Berliner Bildungsprogramm vorgesehen ist. Ich halte es für sehr wichtig.
Und Spaß und Freude beinhaltet auch ein gewisses Maß an Zuneigung. Unsere Kinder kommen gerne, meist hüpfen sie fröhlich in den Gruppenraum, ich begrüße sie mit einem Lächeln oder nehme sie in oder auf den Arm. Wir gehen der Mama oder dem Papa winken, das Kind geht spielen, ich widme mich dem nächsten Ankömmling. Jeder wird grundsätzlich gleich behandelt, einige brauchen aber mehr Aufmerksamkeit, andere weniger. Ich versuche jedem Kind individuell das zu geben, was es braucht. Hier mal ein kleiner Scherz über ein lustiges T-Shirt, das Kind lacht. Hier mal über den Kopf gestreichelt, ich bekomme ein Lächeln. Manchmal springen mir die Kinder auf den Schoß, wo sie gerne einen Moment verweilen können, wir reden oder das Kind möchte sich einfach nur anlehnen, manchmal lese ich ein Buch, aber das wollen dann gleich alle hören.
Die Kinder wissen, sie können jederzeit mit all ihren Sorgen oder Wünschen zu mir kommen. Und so nenne ich die Kinder auch schon mal Schätzchen. "Dennis, Schatz, räum mal bitte deine Brotdose ein." Wenn man so liebevoll gebeten wird, macht das doch jeder gerne.
HALT!!! STOPP!!!
Schatz sagen ist verboten! Das ist äußerst unprofessionell. Das musste ich mir anhören. Dem Kind ungefragt über den Kopf zu streichen ist genauso unangebracht. Ich müsste das Kind schon vorher fragen. Muss ich es fragen, ob ich es auf den Schoß nehmen darf, wenn es weint oder darf ich da einfach selber entscheiden? Muss ich fragen, ob ich ein Kühlpad auf die Beule legen darf? Muss ich fragen, ob ich ihm den Po abwischen darf, wenn ich die Windel wechsel? Schließlich berühre ich es jedes Mal. Wo fängt man an, mit eigenen Entscheidungen, wo darf ich handeln, wo muss ich fragen?
Könnt ihr euch noch an eure Kita-Zeit erinnern? Ich war ein sehr schüchternes Mädchen, hatte vor allem und jedem Angst, konnte mich sehr schwer von der Mama lösen. Ich hätte mir damals eine Erzieherin gewünscht, die mich ungefragt in den Arm nimmt, weil ich mich gar nicht getraut hätte, zu fragen. Ich hätte mir eine Erzieherin gewünscht, die ein paar Scherze mit mir macht, damit ich wieder lachen kann. Ich hätte mir eine Erzieherin gewünscht, die mir über den Kopf streicht und mich aufmunternd anlächelt. Hatte ich nicht. Meine Erzieherin hätte bei der Evaluatorin vielleicht gut abgeschnitten, bei mir schnitt sie so schlecht ab wie nur möglich. Ich bekam nur professionellen Abstand. Nach drei Monaten nahm mich meine Mutter aus der Kita, weil ich selbst Zuhause nicht mehr sprach und nur noch in der Ecke hockte.
Für wen soll ich gut abschneiden? Für das Kind oder die Vorschriften?
Ich fragte sporadisch ein paar Eltern, was sie sich für ihr Kind von der Erzieherin wünschen. So einige sagten unter anderem "Zuneigung". Ich fragte die Kinder im Stuhlkreis, ob sie es doof finden, wenn ich sie mal auf den Schoß nehme oder ihnen über den Kopf streichle. Nein, niemand fand es doof, sie sagten, sie mögen es. Wenn es jemand nicht möchte, mache ich es nicht. Ich erklärte ihnen, dass ich nicht mehr Schatz oder Hase sagen darf, weil die Frau, die da war es für doof hält. Ein dreijähriges Mädchen fragte tatsächlich:"Ist die Frau krank?"
Also wieviel Zuneigung ist erlaubt? Müssen wir professionellen Abstand wahren, wenn es niemand möchte? Ist es wirklich unprofessionell, den Kindern auch in der Kita Liebe und Geborgenheit zu vermitteln? Die Eltern und das Elternhaus ersetzen wir nicht, ist auch gar nicht nötig. Unsere Kinder erfahren zu Hause viel Liebe, warum dürfen sie es nicht in der Kita? Haben wir nicht schon genug fanatische Idioten auf der Welt, denen eben genau das in der Kindheit sicher fehlte?
Niemand ist perfekt, ich kann keinem Kind absolut alles vermitteln, was das Berliner Bildungsprogramm vorsieht, dazu fehlt es an Zeit und einem besseren Erzieherschlüssel. Aber wir können alle unser Bestes geben und Liebe und Zuneigung, Spaß und Freude im Alltag können doch nicht verkehrt sein???!!!
Wenn unsere Kinder die Kita verlassen, um ihren Weg zur Schule anzutreten, sind sie sozial sehr kompetente, fröhliche, selbstbewusste, intelligente Kinder, die dem neuen Alltag absolut gewachsen sind. Was also machen wir so falsch???
Ich würde mich sehr über Kommentare freuen!!!

2 Kommentare:

  1. hallo birgit,
    mich hat dein geschriebenes über diese "beobachterin" sehr bewegt.
    ich fühle mich als vater zweier kinder, wenn ich sowas wie von dir über diese beobachterin höre wie in einem falschen film.
    meine eltern haben mir gezeigt wie wichtig elternliebe ist. ich denke das diese elternliebe mich zu einem halbwegs guten menschen gemacht hat, mit moralischen werten und respekt für jeden.
    mir sind besitztümer nicht wichtig, mir geht es gut wenn ich sorgenlos miete, heizung, strom und essen bezahlen kann.
    doch das wichtigste ist es für mich soviel zeit wie möglich mit meinen kindern zu verbringen.
    wer weiß denn wie lange die kinder die zeit mit den eltern verbringen möchten, bis irgendwann der zeitpunkt kommt, das die kinder mehr zeit lieber mit anderen verbringen möchten. was auch respektiert werden muss.
    deshalb ist es ganz wichtig, solange unsere kinder mit den eltern die zeit verbringen möchten, das wir die zeit mit unseren kindern so verbringen, das wir ihnen unsere liebe schenken und ihnen zuhören damit wir unseren kindern unsere moralischen werte und den respektvollen umgang miteinander beibringen.
    ist nun autoritär oder antiautoritär der richtige weg? ich denke es ist eine gesunde mischung wichtig die auf jedes kind so gut wie möglich abgestimmt sein sollte, was aber nie dem ideal entsprechen wird, sondern man wird immer mal dem ideal näher sein und ein anderes mal weiter weg doch wir eltern sollten uns immer bemühen dem ideal so nah wie möglich zu kommen. doch den idealweg wird niemand immer treffen. deswegen ist es wichtig unsere kindern zu sagen und zu zeigen, das unsere liebe zu unseren niemals weg sein wird auch wenn wir mit ihnen mal meckern oder auf unser kind sauer sind. die liebe darf niemals weg sein und auch nicht uneren kindern als strafe entzogen werden. ein kind muss wissen das es von seinen eltern bedingunglos geliebt wird und dieses muss es auch fühlen.
    wenn kinder nicht in der zeit wo die eltern arbeiten, bei den eltern sein können und auch nicht bei oma und opa (familie), sondern in "fremde" hände für eine gewisse zeit zur betreuung gegeben werden müssen., dann würde ich ich mich als vater freuen wenn mein kind dort auch mit der liebe die werte vermittelt bekommt, die es von zuhause gewohnt ist.
    und nicht nur auf zeit dort verwahrt ist.
    was soll denn aus unseren kindern werden, wenn sie nicht geliebt worden sind?
    das ist doch das allerwichtigste bei der erziehung und im umgang miteinander.
    wie sollen kinder mit anderen kindern nett und respektvoll umgehen, wenn sie nicht gelernt haben, liebe zu empfinden.
    sondern gezeigt bekommen:
    -der lauteste wird erhört
    -der schnellste bekommt zuerst
    -der hinterhältige wird als schlau oder gerissen geschätzt
    -zurückhaltung ist dummheit
    -freundlichkeit hilft nur den unehrlichen
    -gutmütigkeit wird ausgenutzt
    und vieles mehr.

    diese ellenbogengesellschaft soll anscheinend schon den kindern beigebracht werden, und ohne liebe geht dieses wohl besser?!?

    nein, miteinander ist der weg. und dabei ist es wichtig unseren kindern zu zeigen das ein miteinander nur funktioniert, wenn man den anderen respektiert und gelernt was moralische werte sind.
    diese moralischen werden werden immer ein ideal darstellen was man nur schwer einhalten kann. jedoch können wir an uns arbeiten diesen moralischen werten näher zu kommen, wenn man als kind gelernt hat, wie diese moralischen idealwerte aussehen.

    mir scheint diese beobachterin, hat es nie richtig vermittelt bekommen, was moralische werte sind und was respekt ist.

    unsere kinder brauchen unsere liebe, um sich entfalten zu können.

    kinder die mit hass und angst aufwachsen, werden uns eltern und erwachsene nie liebevoll begegnen können. wie denn auch wenn sie dieses nicht erfahren haben.

    liebe birgit,
    bitte lassen sie sich nicht von irgenwelchen "beobachterinnen" verbieten unseren kindern liebe entgegen zu bringen und zu geben. denn diese liebe ist sehr wichtig, damit unsere kinder später diese liebe auch weitergeben können.
    meine herzlichsten grüsse für sie

    AntwortenLöschen
  2. Du machst alles Richtig, du warst damals schon sehr liebevoll zu 'deinen' Kindergarten Kindern, alles Gute, Stephan

    AntwortenLöschen