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Sonntag, 20. Oktober 2013

Unfallstatistik im Kindergarten

Als Unfall im Kindergarten zählt jeder Kratzer und jede Beule. Wir haben ein Unfallbuch, in das wir jeden Unfall eintragen müssen. Aus meiner Erfahrung passieren die meisten Unfälle an einem Dienstag.
Bevor ihr Eltern aber jetzt alle einen Schrecken bekommt, ich hatte in den letzten 24 Jahren nur 9 ernsthafte Unfälle, die ich als schlimm bis sehr schlimm einstufen würde.

Nach 24 Jahren und inzwischen ca 170 Kindern mal durchschnittlich 240 Kita-Tage im Jahr sind 9 nennenswerte Unfälle zum Glück wenig.
Trotzdem schlimm für die 9, die es ausgerechnet erwischt hat.

Jetzt wollt ihr wissen, was so passiert ist?
Na gut. Ich fange bei den weniger schlimmen an.

1. Ich weiß gar nicht mehr, wie es zu diesem Unfall kam. Ich hatte einen Jungen in der Gruppe, der vermutlich eine Gehirnerschütterung hatte (äußert sich nach einem schweren Kopfschlag durch Kopfschmerzen und Erbrechen). Da beides vorhanden war, rief ich die Mutter an. Sie kam eine halbe Stunde später. Mit dem FAHRRAD! Und brachte ihr Kind auch mit dem Rad in die Klinik. Unglaublich.

2. Auf dem Spielplatz ist eine schräge Wand, an der die Kinder mit Seilen hochklettern können. Ich wollte einem meiner Kinder das Seil zuwerfen. Der Vierjährige fing es mit der Nase, die sofort blutete und kaum wieder aufhören wollte. Zum Glück war die Nase nicht gebrochen.

3. Dies ist der jüngste Unfall. In der Garderobe unserer Kita ziehen sich die Kinder so weit es geht alleine an. Die Kinder die fertig sind sollten eigentlich ruhig auf der Bank sitzen und warten, aber das erfordert so viel Talent, wie mit 10 Bällen zu jonglieren und das können Dreijährige noch nicht. Es ging ganz schnell. Es wurde voll Übermut geschubst, die Bank raste auf´s Gesicht zu und da platzte auch schon die zarte Haut über der Augenbraue auf. Ich machte einen Druckverband und rief die Eltern an. Die Narbe wird er wohl immer behalten, obwohl es nicht mal genäht werden musste.

4. Dies ist ein Unfall, den ich mir bis heute nicht erklären kann, aber der kleine Junge konnte damals noch nicht reden und heute erinnert er sich nicht mehr daran. Ich hatte einen sehr großen Karton in meinem Gruppenraum, die Kinder haben ihn als Haus benutzt.
Plötzlich schrie einer laut und kroch aus dem Haus, er blutete zwischen den Augen, aber der Schmerz zwischen seinen Beinen schien größer zu sein. In dem Moment kam die Mutter. Wir sahen nach, was ihm da so weh tat. Der kleine Schniedel war dunkelblau angelaufen und geschwollen. Wie kann sowas in einem Pappkarton passieren??? Auch bei ihm wird die Narbe zwischen seinen Augen wahrscheinlich als Erwachsener noch leicht zu sehen sein. Ein Rätsel.

5. Wunden am Kopf bluten besonders gerne und viel, auch wenn die Wunde mitunter gar nicht so groß ist. Vor etlichen Jahren hatte ich noch ein Klavier in meinem Gruppenraum stehen. Es gehörte dem Vormieter und wurde einfach nicht abgeholt. Da ich nicht ständig meine Augen überall haben kann, bemerkte ich es nicht gleich. Da stand ein Mädchen vor mir, sagte keinen Ton und sah aus, als hätte ihr jemand einen Eimer Blut über den Kopf gekippt. Es lief nur so und ich konnte nicht mal erkennen woher.
In solchen Situationen bin ich die Ruhe in Person. Ich setzte das Kind auf einen Stuhl, holte in Windeseile ein Handtuch und rief nach einer Kollegin, die mir den 1.-Hilfe-Koffer bringen sollte. Es stellte sich heraus, dass das Mädchen gestolpert und mit der Stirn gegen das Klavier gestürzt war. Das Loch in der Stirn war klein und wurde später nicht mal genäht. Aber die Blutmassen ließen eine 20cm-Wunde erahnen. Das ging auch noch mal gut.

5. Ich habe in der Gruppe ein kleines Regal, für mich hüfthoch, mit einem Einlegeboden, das Platz für 6 Kisten Duplo bietet, 3 Kästen unten, 3 Kästen oben. Ein Junge saß vor dem Regal und zog an einem der oberen Kästen, schief hing die Kiste über seinem Kopf. Ich sprang auf, um das Unvermeidliche zu verhindern, aber die Physik siegte und die Kiste kippte, bevor ich bei ihm war. Ihr ahnt es schon. Sie fiel ihm auf den Kopf und hinterließ ein Loch in der Stirn. Hätte er gestanden beim Rausziehen, hätte er es ja halten können, aber so war die Kiste zu schwer.

6. Nun kommen wir zu einem Unfall, der zwar in meiner Nähe und während meiner Arbeitszeit passierte, aber kein Kind aus unserer Kita betraf. Auf dem öffentlichen Spielplatz gegenüber unserer Kita befindet sich ein geteerter Sportplatz zum Fußballspielen. Ein paar Jungs bolzten dort. Einer der Jungs rannte auf das Tor zu, behielt aber den Ball und nicht das Tor im Auge. Na klar, er rannte mit solcher Wucht gegen das Tor, dass er regelrecht abprallte, rückwärts um fiel und mit dem Hinterkopf auf den Boden prallte. Ich war die nächste Erwachsene Person in seiner Nähe und hatte zufällig eine Packung Zupftaschentüchen in der Hand. Beide Hände voller Taschentücher drückte ich seine beiden Platzwunden an der Stirn UND am Hinterkopf zu, während ich dem nächsten Erwachsenen zurief, er möge bitte einen Krankenwagen rufen.

7. Auch dieser Unfall ist noch nicht lange her. Wir haben Sport im Gruppenraum gemacht. Auf einen Stuhl steigen und wieder herunter steigen. Ich stand daneben und gab Hilfestellung. Eine ganze Reihe lang. Anschließend bauten wir die Reihe wieder ab. Aber einem Mädchen war die Übung wohl nicht lang genug. Hinter meinem Rücken baute sie noch einmal zwei Stühle auf, um hinauf zu klettern und (macht ja mehr Spaß) herunter zu SPRINGEN. Nur leider standen die Stühle zu dicht. Das Mädchen sprang und ihre Stirn landete auf der Kante des Stuhls vor ihr. Platzwunde. Nicht lang, aber tief, bis auf den Knochen. 4 Monate musste sie das Spezialpflaster tragen.

8. Ihr merkt, die Unfälle werden schlimmer.
Dieser Unfall ist schon etliche Jahre her, das Kind längst erwachsen.
Es war noch in meiner ersten Kita, ich war mit 7 Kindern meiner Gruppe zur Gruppenreise in Helmstedt. Da ich nicht alleine fahren darf, begleitete mich unsere Köchin und nahm noch ihren Sohn mit, damals 5 Jahre alt. Direkt vor der sehr hübschen Altstadt war ein Spielplatz. Die Köchin fragte mich, ob sie mal schnell in dieses eine Geschäft gehen könne, während wir auf dem Spielplatz sind. Klar, ich passte ja auf. Ihr Sohn schaukelte und meinte plötzlich, er müsste in vollem Schwung abspringen. Er landete, es knackte, er schrie und konnte den Arm nicht mehr bewegen. Jetzt schnell das Handy gezückt und die Köchin angerufen. Fehlanzeige, damals hatten wir noch keine Handys. Ich bat eine andere Mutter vom Spielplatz einen Krankenwagen zu rufen. Sie lief sofort zur nächsten Telefonzelle. Als der Krankenwagen kam, war die Köchin noch immer nicht da und ich musste ihn wohl oder übel allein mitfahren lassen, da ich ja noch 7 weitere Kinder hatte. Das Krankenhaus lag nur 3 Blocks entfernt und als seine Mutter endlich auftauchte, liefen wir alle schnell zur Klinik, wo der junge Mann schon mit seinem Gips auf uns wartete. Arm gebrochen.

9. Das Schlimmste was je passiert ist, war schon ein großer Schreck. Damals sah der öffentliche Spielplatz gegenüber unserer Kita noch anders aus. Es gab eine ca. 2 Meter hohe Holzwand dicht an einer Hauswand, auf der Jugendliche ihre Graffitis versprühen konnten. Ein kleines Mädchen kletterte zwischen den Wänden hoch. Ein ziemlich sportliches Geschick, nur leider sah ich sie hinter der Holzwand nicht. Als sie oben war rief sie mich. Ich befand mich gerade auf der anderen Seite des Spielplatzes und rannte sofort los. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte aus 2 Metern Höhe mit dem Kopf zuerst auf den Steinboden. Damals war ich nicht so ruhig, ich brach sofort in Tränen aus, als das Mädchen dort reglos liegen blieb. Blut lief aus ihrem Ohr. Ich rief den Notarzt und nahm das Mädchen auf meinen Arm. Es hatte die Augen auf, reagierte aber auf nichts. Ich rief natürlich auch sofort die Eltern an. Der Vater war auf Geschäftsreise im Ausland, die Mutter sprach kein Wort Deutsch. Nach meiner Arbeitszeit fuhr ich sofort ins Krankenhaus, wo ich bis 22 Uhr versuchte zu dolmetschen.
Das Mädchen hatte Haarrisse im Schädel, aber es ging ihr schnell wieder gut und es blieben keine Folgeschäden. Ein paar Wochen Ruhe und sie war wieder ganz die Alte.

Einen schweren Unfall habe ich aber verhindern können. Wahrscheinlich wär gar kein Blut geflossen, aber ich hätte es doch als schlimm eingestuft. Wir haben Teller und Tassen aus Keramik. Die Krippe hat Plastik-Geschirr. Einem kleinen Jungen meiner Gruppe rutschte beim Trinken die Tasse aus der Hand, knallte auf den Teller und Teller und Tasse zersprangen in 1000 teile. "Sprangen" ist das richtige Wort, denn etliche winzig kleine Splitter landeten auf dem Pulli des Jungen. Was ist unsere erste Reaktion, wenn etwas auf uns landet, das wir nicht wollen? Richtig, wir fegen es mit der Hand von uns. In letzter Sekunde habe ich seine Hand festgehalten, denn er hätte sich sicher viele dieser winzig kleinen Scherben in die Hand geschoben. Wusstet ihr, dass wir Erzieher nicht mal einen Splitter aus dem Finger eines Kindes entfernen dürfen. Dies ist ein Eingriff zu dem wir nicht befugt sind, wofür wir extra die Eltern anrufen MÜSSEN. Es gibt schon "tolle" Vorschriften.

Unfälle passieren leider, Erzieher können nicht ständig überall sein, auch wenn wir uns schon Augen im Hinterkopf zugelegt haben. Alle 2 Jahre haben wir einen 1.-Hilfe-Kurs und geben wenigstens im Falle eines Unfalls sofort bestmögliche Maßnahmen. Ich hoffe, dass ich dieser Liste hier nichts mehr hinzufügen muss...

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Generation Technik

Dass die Kinder heut zutage schon besser mit dem Smartphone umgehen können als Mama und sie zuhause die Fernsehprogramme problemlos auf andere Sendeplätze verlegen können, wissen wir längst.
Auch in der Kita macht sich die "Generation Technik" bemerkbar.
Wir haben freitags Spielzeugtag. Die Kinder schleppen ihre Autos, Puppen, Stofftiere, auch mal Nagellack mit (was postwendend auf dem Regal landet - liebe Eltern, bitte, unser Job ist anstrengend genug), aber die bisherige Krönung war ein 3jähriges Mädchen, das ihr EIGENES Tablet mitbrachte. In Windeseile hatte sie den Kindern erklärt, wie die Spiele darauf funktionierten und alle spielten begeistert. Mit Schnuller und Windelpo. Bitte schön.

Eigentlich bin ich gar nicht gegen Videospiele, falls man das heute noch so nennt. Games oder wie auch immer fördern Kinder ja auch, wenn sie es in Maßen spielen. Die Kinder entwickeln ziemlich gute Reflexe und werden reaktionsschneller. Viel schneller. Sie sind aufmerksam und konzentriert, was sich auch in anderen Bereichen ihres Alltags zeigt. Die Hand-Auge-Koordination wird geschult und ich habe den Eindruck, dass es den Gehirnzellen keineswegs schadet. Im Gegenteil, wahrscheinlich entstehen Milliarden von neuen Synapsen.
Viele Eltern wehren sich dagegen. Kein Fernsehen, keine DVDs, bloß keine Technik-Games. Warum nicht? Ich war selbst ein Fernsehkind und sicher eins, vor dem alle Psychologen gewarnt hätten. Ich habe von Heidi über Pinocchio, Sesamstraße, Sendung mit der Maus, Sandmännchen, Biene Maja, Tiersendungen ohne Ende, Sindbad bis hin zur Adamsfamily alles gesehen. Und ich halte mich für intelligent mit sehr gutem Allgemeinwissen, besonders im Tierbereich. Ich habe eine schnelle Auffassungsgabe, bin sehr kreativ und war eine gute Schülerin. Hätte ich gelernt, wär ich sicher eine SEHR gute Schülerin gewesen. Aber eine Einschränkung möchte ich unbedingt machen: Lasst eure Kinder nicht alleine das Programm aussuchen, besonders nicht nachts, wenn die Eltern schon schlafen und so schöne Tierfilme laufen wie "Der weiße Hai" oder "Roar - Die Löwen sind los". (Das Trauma von letzterem habe ich bis heute nicht überwunden, ich habe panische Angst vor Raubkatzen.) Also, alles in Maßen, gewaltfrei und unter Aufsicht...

Trotzdem - die Zukunft ist Technik. Vor 13 Jahren bekam ich mein erstes Handy. Ich war schon 30 Jahre alt. Unglaublich. Heute haben die Kinder mit 8 ein Handy, damit sie bescheid sagen können, dass sie heil zur Schule gekommen sind, auf dem Schulhof nicht verprügelt wurden, wieder zuhause gelandet sind und mit dem selbstgemachten Rührei keinen Großbrand ausgelöst haben. Dass sie noch zu Freunden gehen, dass sie die Hausaufgabe in Mathe nicht verstehen und und und. Ohne Handy geht´s doch kaum noch. Was sich bereits bei meinen 3jährigen bemerkbar macht.
Ich bin ein großer Freund von "realem" Spielzeug, ich kann mich erinnern, dass ich es selber viel lieber mochte. Ein echter Kochtopf, statt diese Mini-Plastikpfannen. Echter Pfannenwender, statt Mini-Holzkochlöffel. Aus der Erwachsenenwelt muss es sein. Oder zumindest so aussehen. Ich habe mal vor einer Weile echte Handyprototypen zum Spielen bekommen. Sie sehen absolut echt aus, haben aber keine Funktion. Von ehemals 30 Handys sind noch 3 übrig. (Wo bitte schön, sind die anderen 27 geblieben?????????) Ich habe noch vier ausrangierte Heimtelefone dazu gepackt. Dass sie größer sind, als die Handys stört die Kinder nicht, schließlich sind sie ja echt, also gleichermaßen beliebt.
Und dann ergab sich folgende Szene:
Zwei Jungs und ein Mädchen, alle 3 Jahre alt, spielen unter unserer Holzburg, dass sie zusammen wohnen. Junge 1 kommt "nach hause" und sagt zu Junge 2: "Hast du mein Handy aufgeladen?"
Junge 2 antwortet sich vor die Stirn hauend: "Ach herrje, das hab ich ganz vergessen."
Junge 1 flippt daraufhin total aus und brüllt (ernsthaft): "Ich habe dir extra gesagt, du sollst es aufladen!!! Wie kann man denn SOWAS vergessen??? Womit soll ich jetzt bitte telefonieren???" Und an das Mädchen gewandt: "Kann ich mal dein Handy haben, oder ist das auch alle?"

Da frag ich mich, was passiert, wenn es später mal ein echtes Handy ist?

Die Handys sind bei Jungen und Mädchen gleichermaßen beliebt und es ist doch immer wieder total witzig anzuschauen, wie besonders die Mädchen Mama nachmachen. Mit einer Hand schieben sie den Puppenwagen, über dem anderen Arm hängt eine Tasche und mühsam wird das Handy mit dem Taschenarm ans Ohr geklemmt, während sie wirklich angeregt telefonieren. Meistens mit Mama.  Und sie reden über das, was sie gerade machen. "Ich bring gerade das Baby in den Kindergarten." Oder "Was soll ich noch einkaufen?" Und wenn ihr einer im Weg steht, wird er mit dem Puppenwagen einfach überrollt, darauf kann man mit 3 Jahren nicht auch noch achten. Vielleicht wäre sie aber ausgewichen, hätte sie im Videospiel Erfahrung gehabt.
Letztens sagte ein 5jähriger zu meiner Kollegin: "Ich hab auf Papa´s i-Pad schon das 4. Upgrade erreicht." Da frag ich mich, ob ein Berliner Großstadtkind überhaupt noch einen Bauernhof besuchen sollte, um zu wissen, welche Farben eine Kuh hat, wenn er in der gleichen Zeit auf Papa´s i-Pad sein fünftes Upgrade erreichen könnte...