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Sonntag, 12. August 2012

Die Liebe und das Küssen

Es gibt ja so einige Trends in den Gruppen, die immer mal wieder aufkommen.
Da bringt ein Kind plötzlich das Wort "Scheiße" mit, ohne dass wir drum gebeten haben und da ist es. Sitzt fest, lässt sich mit keinem Desinfektionszeug entfernen.
"Scheiße", der erste Erwachsene meckert. Ich bin das nicht, denn ich weiß inzwischen, dass es am schnellsten geht, wenn man nicht darauf reagiert. Aber irgendwer reagiert immer und das möglichst entsetzt.
Ein jedes Kind zwischen zwei und vier speichert das sofort ab, registriert genau die Erwachsenenreaktion und findet es absolut grandios, ganz heimlich. WIR haben ja nicht mal gemerkt, dass das Kind irgendwo "Scheiße" aufgeschnappt hat.
Aber wie gesagt plötzlich ist es da und verseucht ein paar Wochen lang den Gruppenraum und die Stimmung unter den Eltern.
Das "Doktorspielen" würde ich auch in diese Kategorie einstufen, wenn Kinder (meist mit 3,5 Jahren) anfangen, sich und auch gerne andere Kinder und ihre Körperöffnungen zu entdecken. Das löst ebenfalls eine Welle der Empörung aus. Bei einigen. Ich sehe in erster Linie die Gefahren, die es mit sich bringt, denn gewisse Körperöffnungen eignen sich nicht, um Spielzeug zu versenken und damit meine ich nicht nur die Nase. Ich greife ein, aber ganz ruhig, nicht vermitteln, dass das Entdecken des Körpers etwas Verbotenes ist.
Die Kinder verstehen das meist ganz gut.

Und nun ist ein neues Phänomen aufgetreten. Es ist in meinen 24 Erzieherjahren das erste Mal, absolut einmalig und wunderschön, ich werde nicht eingreifen.

Vor einer Woche habe ich die großen Kinder (vier und fast vier Jahre jung) in die größere Gruppe abgegeben. Eins dieser Ex-Kinder sagte vor einiger Zeit "Ich liebe dich, Birgit!" völlig von allein. Und es hat mich so gerührt, dass ich die Maus in den Arm nahm, auf die Wange küsste und sagte, dass ich sie auch ganz doll lieb habe. Stimmt auch!
Und wie schon bei "Scheiße", registrierten auch hier die aufmerksamen kleinen Wesen um mich herum die Reaktion auf "Ich liebe dich." Meine Reaktion gefiel. So gut, dass die nächsten in "Ich liebe dich!" einstiegen. Ich fand das sehr süß, auch wenn die Trittbrettfrahrer nicht von alleine darauf gekommen wären. Aber es klingt doch sehr schön. Und so lächelte ich immer fleißig betreffendes Kind an, drückte es oder antwortete mit "Ich hab dich auch lieb!"

Einmal kam das Kind, was diese Harmonie-Welle losgetreten hat zu mir und sagte: "Meine Mama sagt, zu ihr und Papa kann ich "Ich liebe dich" sagen, aber zu allen anderen soll ich "Ich hab dich lieb" sagen. Aber," und dann beugte sie sich zu meinem Ohr und fing an zu flüstern,"dich liebe ich trotzdem."
Ab wieviel Jahren kann ein Kind "Ich liebe dich" und "Ich hab dich lieb" unterscheiden? Ich war erstaunt.

Nun sind ein Teil der "Ich-liebe-dich-Kinder" in die nächste Gruppe gewechselt, aber ein Teil blieb und infizierte gerade die zweijährigen Neuankömmlinge, die das gleich übernahmen und sich über meine positive Reaktion genauso freuten, wie die Vierjährigen. Warum auch nicht, ein ehrlichers Lächeln oder gar Strahlen setzt so viel Positives in seinem Gegenüber frei, ganz besonders bei Kindern.
Aber dann ging es weiter. Beim Tee fragte ein Kind, ob es aufstehen und mir ein Küßchen geben darf. Beim Essen stehen wir eigentlich nicht auf, aber bei einer so süßen Bitte, kann man ja nicht NEIN sagen. Ich erlaubte es und hielt meine Wange hin. Das nächste Mädchen fragte natürlich keine drei Sekunden später. Erlaube ich es einem, muss ich es allen erlauben. Das nutzten fünf Kinder aus und fragten in Runde zwei nicht mal mehr, ob sie aufstehen dürfen. Als es mir dann doch etwas viel und unruhig wurde, bat ich sie, doch sich gegenseitig zu küssen, ich könnte so viele Küsse gar nicht tragen. Der Hintergedanke war, dass sie die anderen Kinder nicht küssen würden und sicher endlich Ruhe am Esstisch einkehrt.
Aber wann machen Kinder schon mal das, was man erwartet? Sie fingen an aufzustehen, um sich gegenseitig liebevoll zu umarmen und auf die Wangen zu küssen. Zum Glück nicht auf den Mund, das hätte sicher schon wieder Ärger gegeben und eine ansteckende Epedemie verursacht.
Und dieses Gedrücke und Geknutsche unter den Zwei- und Dreijährigen war sooooo süß anzusehen, alle haben überglücklich gestrahlt, die Stimmung war  nicht mit Worten zu beschreiben.
Es war eine einmalige Sache, aber es hat dazu beigetragen, dass sich die neu zusammengewürfelte Gruppe schneller näher kam, als ich es je zuvor erlebt habe.
Das ist gut, ich versuche den Kindern zu vermitteln, dass wir EINE Gruppe sind, zusammenhalten und aufeinander aufpassen müssen. Einer für alle, alle für einen. Das könnte dieses Jahr ganz gut klappen.
Und wer wissen will, wie "Scheiße" in der Kitagruppe am schnellsten verschwindet: Ich verteile einen kleinen Stempel auf die Hand, aber nur an die Kinder die dieses Wort heute nicht gesagt haben. Am nächsten Tag war "Scheiße" verschwunden und kam nie wieder...